Russlands Überfall auf die Ukraine – Krieg in Europa!
Täglich sehen wir die grauenhaften Bilder von zerstörten Gebäuden und getöteten Zivilisten in der Ukraine. Ich selbst war vor nicht allzu langer Zeit in Kiew und kann mir nur sehr schwer vorstellen, dass dort nun Krieg herrscht. Doch dies ist leider Realität.
Der Überfall auf die Ukraine durch Putin hatte in den zurückliegenden Jahren und vor allem seit Sommer 2021 ein politisches und militärisches Vorspiel. Dass Putin tatsächlich auf einen Schlag versuchen könnte, die Ukraine komplett unter seine Kontrolle zu bringen, hat die meisten Beobachter dennoch überrascht. Ich hatte eher damit gerechnet, dass er Schritt für Schritt vorgeht und versucht, die Ukraine zunächst zu destabilisieren und die östlichen und südöstlichen Teile zu annektieren.
Offenbar hat Putin die Situation aber an einigen wesentlichen Punkten komplett falsch eingeschätzt.
Erstens ging er wohl davon aus, dass ein großer Teil der ukrainischen Bevölkerung einer solchen Besetzung neutral gegenüber stehen würde. Das Gegenteil ist der Fall: der Überfall durch Russland hat die Ukrainer neu geeint und hinter ihren demokratisch gewählten Präsidenten versammelt. Schon jetzt ist klar, dass selbst ein militärischer Sieg Russlands über die Ukraine zu anhaltendem Widerstand durch die Zivilbevölkerung führen würde. Es ist unklar, ob Russland überhaupt in der Lage wäre, die Ukraine dauerhaft besetzt zu halten.
Zweitens hat Putin die Geschlossenheit des Westens völlig unterschätzt. NATO, EU und die G7-Staaten sind einmütig in der Verurteilung dieses völkerrechtswidrigen Aktes. Sowohl die Abstimmung im UN-Sicherheitsrat als auch in der UN-Vollversammlung waren eine krachende Niederlage für Putin. Der neue „Freund“ China hat sich enthalten. In der Generalversammlung gab es lediglich vier Staaten auf der Seite Russlands: Nordkorea, Syrien, Eritrea und Belarus.
Drittens hat er die aus der Geschlossenheit resultierende Wucht der Sanktionen völlig unterschätzt. Die ohnehin schwierige wirtschaftliche Lage Russlands, verursacht durch das Missmanagement Russlands, erhält einen neuerlichen schweren Rückschlag. Und weitere Verschärfungen der Sanktionen sind denkbar, die nicht nur die Oligarchen, sondern auch weite Teile der Zivilbevölkerung gegen Putin aufbringen könnten.
Viertens: Die innenpolitisch gravierendste Fehleinschätzung war die über den Zustand und die Kampfkraft der russischen Streitkräfte. Der Nimbus der ungeschlagenen russischen Armee zerstob auf den Straßen der Ukraine. Auch ich war erstaunt darüber, welche Schwierigkeiten die geballte russische Streitkraft gegen den vergleichsweise wenig bewaffneten Gegner Ukraine hat.
Jeder der vier Fehleinschätzungen alleine müsste den Kreml zu einer grundsätzlichen Kurskorrektur veranlassen. Die Ereignisse der letzten Wochen begründen aber Zweifel, dass Putin noch rationalen Argumenten zugänglich ist. Ich fürchte, und darin liegt das Drama der aktuellen Situation, dass er den Militäreinsatz eskaliert und den Terror gegenüber der ukrainischen Zivilbevölkerung erhöhen wird.
Das umgekehrt günstigste Szenario entgegen halte ich für eher unwahrscheinlich: dass die Kreml-Elite selbst Putin die Macht entzieht und für eine Kurskorrektur sorgt.
Am Ehesten kann ich mir noch vorstellen, dass in Russland selbst Unruhe unter der Zivilbevölkerung entsteht. Der Überfall auf die Ukraine hat die russischen Streitkräfte bereits bis heute vermutlich eine hohe vierstellige Zahl an Soldatenleben gekostet. Dies ist in Russland derzeit noch völlig unbekannt. Hohe Opferzahlen werden sich aber auf Dauer nicht verheimlichen lassen. Die Mütter, Väter und Geschwister dieser gefallenen Soldaten stehen oft in der Mitte der Gesellschaft und werden Putin vielleicht sogar auf der Straße offen anklagen. Doch dies bleibt ebenso Spekulation wie leider viele andere Fragen rund um den Krieg. Wir in Deutschland und Europa sind nicht neutral, sondern stehen an der Seite der Ukraine. Wir unterstützen die Ukraine wirtschaftlich und politisch und liefern auch defensive Waffen. Eine direkte Konfrontation von NATO-Kräften mit Russland verbietet sich angesichts der Unberechenbarkeit Putins und der atomaren Bewaffnung Russlands. Eine solche direkte Konfrontation wäre unvermeidlich, wenn die NATO über der Ukraine ein Flugverbot verhängt und durchsetzt. Militärisches Handeln der NATO erfordert den Bündnisfall, wenn die NATO angegriffen wird. Das zu verhindern, ist oberstes Ziel unserer Politik. Hierüber sind wir uns im NATO-Bündnis und auch zwischen Regierungskoalition und CDU/CSU-Oppositionsfraktion einig.
Bild: © Thommy Weiss_pixelio